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Gardasee am Limit – jetzt soll er eigene Rechte bekommen

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Freizeitparadies und Schutzfall: Am Nordufer des Gardasees drängen sich Sport und Tourismus – die Initiative will dem See eigene Rechte geben. (Foto: © Balate Dorin/Adobe Stock)
Freizeitparadies und Schutzfall: Am Nordufer des Gardasees drängen sich Sport und Tourismus – die Initiative will dem See eigene Rechte geben. (Foto: © Balate Dorin/Adobe Stock)

Am größten See Italiens formiert sich eine Bewegung, die das Verhältnis zwischen Mensch und Natur neu definieren will. Bürgerinnen und Bürger, Wissenschaftler und Umweltverbände fordern, dem Gardasee eine eigene Stimme zu geben – ihn nicht länger nur als Landschaft oder Ressource zu betrachten, sondern als lebendiges System mit eigenen Rechten.

Was bislang nach einer juristischen Utopie klang, hat nun eine konkrete Form gefunden: die Dichiarazione dei Diritti del Lago di Garda – die Erklärung der Rechte des Gardasees. Sie wurde im September 2024 in Desenzano vorgestellt und versteht sich als erster Schritt auf dem Weg zu einer nationalen Gesetzesinitiative. Hinter dem Projekt steht die Federazione per il riconoscimento dei diritti del Lago di Garda, ein Zusammenschluss mehrerer Umweltorganisationen, darunter Legambiente, Gaia animali & ambiente und der Tavolo Ambiente Garda.

Eine Charta ohne Gesetzeskraft – noch

Die sogenannte Charta besteht aus fünf Artikeln. Sie legt unter anderem fest, dass der See „ein Recht auf den Erhalt seines Ökosystems“ besitzt und dass die Anwohnerinnen und Anwohner der Ufergemeinden verpflichtet seien, dieses Gleichgewicht zu wahren. Vorgesehen ist auch die Einrichtung eines „Consiglio generale del Lago e degli abitanti rivieraschi“, eines beratenden Rates, der die Interessen des Sees vertreten soll.

Rechtlich bindend ist das Dokument bislang nicht. „Die Charta hat keinen juristischen Wert, sondern ist ein kulturelles und politisches Signal“, schreibt das Giornale di Brescia. Ziel der Initiatoren ist es, den Text in einen nationalen Gesetzesentwurf umzuwandeln. „Wir wollen die Erklärung in ein disegno di legge transformieren“, heißt es auf der Webseite des Projekts LUMEN, das die Föderation wissenschaftlich begleitet.

Bewegung bekommt wissenschaftliche Unterstützung

Unterstützt wird die Bewegung von Juristen wie Pasquale Viola, Professor für Umweltrecht an der Universität Triest, und dem Geografen Francesco Visentin von der Universität Venedig. In einem Interview mit Il Bo Live erklärten sie, das Vorhaben solle nicht nur symbolisch bleiben: „Wenn ein Ökosystem Rechte besitzt, dann kann es im Namen der Allgemeinheit verteidigt werden – auch vor Gericht.“

Zwischen Urlaub und Umweltschutz: Segelregatta bei Riva del Garda – der See steht unter Druck. (Foto: © losonsky/Adobe Stock)
Zwischen Urlaub und Umweltschutz: Segelregatta bei Riva del Garda – der See steht unter Druck. (Foto: © losonsky/Adobe Stock)

Viola verweist auf das Beispiel des spanischen Mar Menor, das 2022 als erstes europäisches Naturgebiet eigene Rechte erhielt. Das italienische Recht kenne bislang keine solche Kategorie, räumt er ein. Dennoch könne die Initiative „eine notwendige Diskussion eröffnen“ – über die Grenzen des gegenwärtigen Umweltrechts hinaus.

Gardasee: Übernutzung, Tourismus, Klimawandel

Die Forderung nach neuen Schutzmechanismen kommt nicht von ungefähr. Laut Vita besuchen jährlich rund 26,5 Millionen Touristinnen und Touristen den Gardasee – bei einer ständigen Bevölkerung von nur etwa 190.000 Menschen. Die Region kämpft mit zunehmender Zersiedelung, Wasserverschmutzung und Biodiversitätsverlust. Für die Initiatoren ist die Anerkennung der „Rechte des Sees“ ein Weg, diesen Druck rechtlich zu adressieren.

„Die bestehenden Instrumente des Umweltrechts reichen nicht mehr aus“, erklärt die Föderation in einer ihrer Erklärungen. „Wir müssen die Beziehung zwischen Mensch und Natur neu denken.“

Lombardei: Vorsichtiger Optimismus in der Politik

Auch auf institutioneller Ebene wird das Thema wahrgenommen. Der lombardische Umwelt- und Klimarat Giorgio Maione erklärte in einem Interview mit dem Giornale di Brescia, man wolle die Idee „nicht kategorisch ausschließen“. Man müsse aber prüfen, wie sich eine solche Regelung mit bestehenden Verwaltungs- und Eigentumsstrukturen vereinbaren lasse. Maione warnte vor „Doppelrollen“ und rechtlichen Grauzonen, zeigte sich aber offen für eine weitere Debatte.

Bislang gibt es allerdings keinen formell eingebrachten Gesetzesentwurf im römischen Parlament. Weder in der Camera dei Deputati noch im Senato della Repubblica findet sich ein entsprechendes Dossier. Das Projekt bleibt eine zivilgesellschaftliche Initiative – getragen von symbolischer Kraft und wachsendem öffentlichen Interesse.

Zwischen Vision und Realität

Ob der Gardasee tatsächlich eines Tages juristische Persönlichkeit erhält, ist offen. Doch die Bewegung hat bereits eines erreicht: Sie zwingt Italien, über das Verhältnis von Recht und Natur neu nachzudenken. „Es geht nicht nur um den See“, sagt Viola. „Es geht darum, ob wir als Gesellschaft bereit sind, die Natur als Trägerin eigener Rechte anzuerkennen.“

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