
Wer durch die engen Gassen der Altstadt von Pisa spaziert, hört schon von Weitem die Sprachen der Welt. Englisch, Japanisch, Deutsch, Spanisch – und dazwischen das ungeduldige Klicken von Smartphone-Kameras. Am Ende der Via Santa Maria öffnet sich der Blick auf die Piazza dei Miracoli, den „Platz der Wunder“. Hier steht er – der berühmteste schiefe Turm der Welt. Und was einst ein technisches Fiasko war, ist heute ein globales Symbol für Charme, Geschichte und eine Prise italienischen Trotz.
Ein weltberühmtes Bauwerk mit Schicksal
Als 1173 der Grundstein für den Campanile gelegt wurde, ahnte niemand, dass dieses Bauwerk die Jahrhunderte überdauern – und Pisa unsterblich machen würde. Der Turm sollte eigentlich nur die Kathedrale Santa Maria Assunta krönen. Doch schon nach wenigen Jahren begann das Unheil: Der Boden unter dem Fundament – eine Mischung aus Ton, Sand und Muschelkalk – gab nach. Der Turm senkte sich einseitig, langsam, aber unaufhaltsam.
Die Bauarbeiten wurden mehrfach unterbrochen, Kriege verhinderten Fortschritte. Erst fast 200 Jahre später, 1372, stand der Turm – sichtbar geneigt, aber erstaunlich standhaft. Eine Schieflage, die sich zu einem Wunder auswuchs.
Schiefer Turm von Pisa: Ein Jahrhundertprojekt der Rettung
Im Laufe der Jahrhunderte versuchte man alles, um den Turm zu retten. Schon Galileo Galilei, selbst ein Sohn Pisas, soll vom Turm aus seine berühmten Experimente zum freien Fall durchgeführt haben – ob aus Wissenschaft oder Lokalpatriotismus, bleibt Legende. Im 20. Jahrhundert aber wurde die Neigung lebensgefährlich. Der Turm sank weiter ab, bis sich sein oberster Punkt um mehr als viereinhalb Meter zur Seite neigte. 1990 wurde er für Besucher geschlossen – die Angst vor einem Einsturz war real.
Erst ein internationales Expertenteam fand in den 1990er-Jahren die Lösung: Durch präzise Erdarbeiten auf der Nordseite, das Einziehen von Stahlkabeln und gezielte Gegengewichte wurde der Turm um 43 Zentimeter aufgerichtet. Seit 2001 ist er wieder für Besucher geöffnet – sicher, aber schief genug, um sein Geheimnis zu wahren.
Tourismusmagnet und Wirtschaftsmotor
Heute ist der Schiefe Turm von Pisa das wirtschaftliche Herz der Stadt. Mehr als fünf Millionen Touristen reisen jährlich hierher – eine beachtliche Zahl für eine Stadt mit nur rund 90.000 Einwohnern.
Die Piazza dei Miracoli, seit 1987 UNESCO-Welterbe, ist ein Magnet für Kulturreisende, Architekturbegeisterte und Social-Media-Pilger gleichermaßen. Der Turm zieht nicht nur mit seiner Schieflage an, sondern auch mit dem Ensemble, zu dem er gehört: die prachtvolle Kathedrale, das Baptisterium und der Camposanto, ein Friedhof aus hellem Marmor – zusammen ein harmonisches Gesamtkunstwerk romanischer Baukunst.
Rund um den Platz boomt der Tourismus. Cafés, Souvenirläden und kleine Trattorien leben vom stetigen Besucherstrom. Die Stadtverwaltung hat in den letzten Jahren versucht, Pisa mehr als nur „ein Fotoziel“ zu machen – mit neuen Museen, besseren Verkehrsverbindungen und nachhaltigen Tourismuskonzepten.

Der „stützende“ Tourist: Das ewige Fotomotiv
Trotz aller Bemühungen bleibt das bekannteste Motiv natürlich das gleiche: Touristen, die den Turm „stützen“, „halten“ oder „umstoßen“ – eine globale Geste der Ironie. Über eineinhalb Millionen solcher Fotos landen jedes Jahr im Internet. Der Turm hat sich zu einem Kultobjekt der digitalen Ära entwickelt, zu einem Sinnbild für das Schräge, Unperfekte, Menschliche.
Dabei lohnt sich der Aufstieg selbst: 294 Stufen führen zur Spitze, von der aus sich ein weiter Blick über Pisa und die toskanische Ebene eröffnet. Bei Sonnenuntergang schimmern die weißen Marmorfassaden rosa – und für einen Moment wirkt es, als neige sich nicht der Turm, sondern die Welt selbst ein Stück in seine Richtung.
Ein Denkmal der Unvollkommenheit
Heute neigt sich der Turm um etwa 3,97 Grad – stabil, überwacht und regelmäßig nachjustiert. Für viele ist er mehr als ein architektonisches Wunder: ein Symbol dafür, dass Fehler nicht das Ende bedeuten müssen, sondern manchmal der Beginn einer großen Geschichte sind. Pisa hat gelernt, seinen „Fehler“ zu lieben. Und der Turm – dieser schiefe, stolze Wächter aus Marmor – steht da, als wolle er sagen: Perfektion ist langweilig.
🗺️ Besucherinformationen – Schiefer Turm von Pisa
Adresse:
Piazza del Duomo (auch bekannt als Piazza dei Miracoli)
56126 Pisa, Italien
Öffnungszeiten:
Täglich geöffnet, meist von 9.00 bis 20.00 Uhr (je nach Saison leicht abweichend)
Letzter Einlass etwa 30 Minuten vor Schließung
Tickets:
Online-Reservierung empfohlen unter: www.opapisa.it
Kombitickets für Turm, Dom, Baptisterium und Camposanto erhältlich
Eintrittspreise:
Erwachsene ca. 20 € (nur Turm), Ermäßigungen für Kinder und Gruppen
Hinweise:
– Der Aufstieg ist nur für Personen über acht Jahre erlaubt
– 294 Stufen, keine Aufzüge vorhanden
– Großer Besucherandrang im Sommer – frühe Buchung empfehlenswert
– Fotografieren erlaubt (ohne Stativ)
Anfahrt:
Vom Bahnhof Pisa Centrale ca. 20 Minuten zu Fuß oder mit dem Bus Linie 4
Parkmöglichkeiten in der Nähe: Parcheggio di Piazza dei Miracoli



































