
Das Gran Caffè Gambrinus gilt als das bekannteste Kaffeehaus Neapels und als eines der symbolträchtigsten Cafés Italiens. Seit mehr als 160 Jahren ist es Teil des öffentlichen Lebens der Stadt und steht bis heute für eine Kaffeehauskultur, in der Genuss, Repräsentation und gesellschaftliche Sichtbarkeit eng miteinander verwoben sind.
Ein Café im Moment der Einigung
Gegründet wurde das Gambrinus im Jahr 1860, in einer Phase tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Umbrüche. Die italienische Einigung veränderte nicht nur Staatsgrenzen, sondern auch die urbanen Zentren und mit ihnen die Orte des Austauschs. Das Gambrinus entwickelte sich rasch zu einem Treffpunkt der neapolitanischen Elite. Schriftsteller, Künstler, Politiker und Intellektuelle nutzten das Café als Bühne und Rückzugsort zugleich.

Ende des 19. Jahrhunderts erhielt das Haus seine bis heute prägende Gestalt. Aufwendig dekorierte Räume mit Stuck, Skulpturen, Gemälden und Spiegeln sollten den Anspruch unterstreichen, mehr zu sein als ein Ort für schnellen Kaffeekonsum. Historische Darstellungen verweisen darauf, dass das Gambrinus als Hoflieferant der königlichen Familie galt. Ein Statussymbol, das den gesellschaftlichen Rang des Cafés unterstrich.
Bruch, Schließung und langsame Rückkehr
Bis 1938 blieb das Gambrinus ein zentraler Ort des öffentlichen Lebens. In jenem Jahr wurde das Café aus politischen Gründen geschlossen, ein Einschnitt, der seine Geschichte nachhaltig prägte. Erst Jahrzehnte später begann die schrittweise Wiederbelebung. Heute knüpft das Gambrinus bewusst an seine Vergangenheit an und inszeniert sich als historisches Kaffeehaus. Die jüngste Restaurierung der Sala degli Specchi, des Spiegelsaals, macht diesen Anspruch besonders sichtbar und rückt den ursprünglichen Glanz erneut in den Mittelpunkt.
Die Position des Cafés ist kein Zufall. Direkt an der Via Chiaia gelegen, an der Piazza Trieste e Trento und nur wenige Schritte von der Piazza del Plebiscito, dem Teatro San Carlo und dem Palazzo Reale entfernt, versteht sich das Gambrinus als repräsentatives Wohnzimmer der Stadt. Wer hier Platz nimmt, sitzt nicht abseits, sondern mitten im urbanen Geschehen Neapels.
Unser Besuch nach den Feiertagen
Wir waren an einem Samstag direkt nach den Feiertagen dort, spontan und ohne Reservierung. Neapel war an diesem Tag sehr voll, die Stadt wirkte belebt und dicht, ohne ihren Rhythmus zu verlieren. Auch im Gambrinus herrschte Hochbetrieb. Alle Tische waren besetzt, das Stimmengewirr füllte die hohen Räume, Kellner bewegten sich routiniert durch das Gedränge. Auf einen Sitzplatz warteten wir etwa zehn Minuten, eine Wartezeit, die den Andrang eher bestätigte als störte.
Preise, Service und Anspruch
Unsere Bestellung bestand aus zwei heißen Schokoladen, einem Cornetto und einem Stück Pastiera. Der Preis lag bei 30 Euro. Das ist hoch, insbesondere für neapolitanische Verhältnisse. Doch das Gambrinus folgt der klassischen Logik historischer italienischer Cafés: Wer am Tisch Platz nimmt, bezahlt nicht nur für das Produkt, sondern für Service, Zeit und Ambiente.

Die Qualität der Speisen entsprach diesem Anspruch. Die cioccolata calda war dicht und intensiv, eher Dessert als Getränk. Das Cornetto frisch und sauber gearbeitet, die Pastiera aromatisch und ausgewogen, mit der typischen Orangenblütennote. Nichts wirkte beliebig oder touristisch vereinfacht.
Atmosphäre als eigentlicher Wert
Entscheidend ist im Gambrinus jedoch weniger das einzelne Produkt als die Atmosphäre. Die hohen Decken, die historische Ausstattung, die Spiegel und Gemälde erzeugen einen Raum, der bewusst Wirkung entfaltet. Trotz der vielen Gäste bleibt der Eindruck kontrolliert und professionell. Das Café ist kein stiller Ort, sondern ein lebendiger, öffentlicher Raum, der gesehen werden will.
Das Gran Caffè Gambrinus ist kein Geheimtipp und will es auch nicht sein. Es ist teuer, es ist voll und es ist sich seiner Bedeutung sehr bewusst. Wer hierher kommt, sucht nicht den schnellen Espresso, sondern ein Stück neapolitanischer Geschichte im laufenden Betrieb. Genau darin liegt seine Stärke. Man verlässt das Gambrinus nicht mit dem Gefühl, ein Café besucht zu haben, sondern einen Ort, an dem Neapel sich selbst inszeniert.
Gran Caffè Gambrinus – Infos auf einen Blick
Adresse: Via Chiaia 1/2, Piazza Trieste e Trento, 80132 Neapel
Lage: Direkt an der Piazza Trieste e Trento, wenige Schritte von Piazza del Plebiscito, Teatro San Carlo und Palazzo Reale entfernt
Öffnungszeiten: Täglich, in der Regel von morgens bis nach Mitternacht (je nach Wochentag und Saison abweichend)
Hinweis: Klassische Preisstruktur historischer Cafés – Bedienung am Tisch deutlich teurer als Konsum an der Bar
Homepage: grancaffegambrinus.com










































