
Für uns vom Team von Vivere in Italien beginnt die eigentliche Ankunft in Süditalien immer an einem ganz bestimmten Moment. Nach zwei langen Tagen Fahrt von Solingen, wenn wir auf der A1 hinter Caserta Richtung Süden rollen und sich die Landschaft plötzlich öffnet, taucht er am Horizont auf: dieser vertraute, dunkelblaue Umriss, der wie ein Wächter über der Bucht steht. Der Vesuv.
Jedes Mal fühlt es sich ein wenig so an, als würde ein alter Freund aus der Ferne die Hand heben und „Benvenuti“ sagen. Mit diesem ersten Blick kommt das Gefühl zurück, wieder zu Hause zu sein. In unserer Wahlheimat rund um Neapel, wo wir mehrmals im Jahr nach Pozzuoli fahren und wohin wir im kommenden Herbst auswandern werden. Obwohl wir wissen, dass der Vesuv ein schlafender Gigant ist, dessen Geschichte von Feuer und Zerstörung geprägt wurde, bleibt dieser Moment ein Augenblick der Wärme und Vertrautheit. Es ist das sichere Zeichen: Der Süden hat uns wieder.
Vesuv: Ein Berg, der Geschichte atmet
Die weltberühmte Eruption des Jahres 79 n. Chr. prägt das Bild des Vesuvs bis heute. In jener verhängnisvollen Nacht verschwand eine pulsierende römische Welt unter Asche und Bimsstein. Pompeji, Herculaneum, Oplontis. Orte, die heute zu archäologischen Schaufenstern in die Vergangenheit geworden sind, erstarrten im Augenblick einer Katastrophe. Die gespenstische Stille, die über den Ruinen liegt, erzählt noch immer von der abrupten Gewalt eines Ausbruchs, der das alltägliche Leben konservierte und damit unsterblich machte.
Doch die Geschichte des Vesuvs ist weit älter und vielschichtiger. Schon antike Chronisten berichten von vorherigen Ausbrüchen, manche davon vermutlich stärker als jener aus dem Jahr 79. Nach langen Phasen der Ruhe wurde der Vulkan immer wieder aktiv – im Mittelalter, in der frühen Neuzeit und schließlich im 20. Jahrhundert. 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg, führte der bislang letzte größere Ausbruch zur Zerstörung ganzer Dörfer und zwang sogar alliierte Truppen zum Rückzug. Seitdem schweigt der Vesuv, aber die Wissenschaft spricht eine klare Sprache: Er schläft nur, er ist nicht erloschen.
Wissenschaft zwischen Sorge und Faszination
Am Fuß des Berges liegt das Observatorio Vesuviano, die älteste Vulkanwarte der Welt. Seit seiner Gründung im Jahr 1841 beobachten Wissenschaftler hier jede Erschütterung, jeden Gasaustritt und jede kleinste Bewegung des Untergrunds. Für die Menschen, die in der dicht besiedelten Region rund um Neapel leben, ist diese Forschung mehr als nur akademisch. Sie ist überlebenswichtig.
Obwohl die Behörden detaillierte Evakuierungspläne entwickelt haben, bleibt die Realität herausfordernd: Ein Ausbruch in einer der bevölkerungsreichsten Regionen Europas wäre ein logistisches Mammutprojekt. Und dennoch leben die Menschen mit einer Gelassenheit unter dem Vulkan, die Außenstehenden beinahe rätselhaft erscheint. Für sie ist er kein drohendes Unheil, sondern ein Teil der Heimat. Ein Nachbar mit mächtiger Vergangenheit und unbekannter Zukunft.
Magnet der Romantik und Inspiration der Künstler
Seit Jahrhunderten zieht der Vesuv Reisende, Künstler und Forscher an. Während der Grand Tour im 18. und 19. Jahrhundert gehörte der Aufstieg zum Krater fest zum Programm junger Europäer, die die Kultur des Südens erkunden wollten. Goethe, der den Vesuv 1787 bestieg, beschrieb den Blick vom Gipfel als „eine der herrlichsten Aussichten der Welt“.
Auch Maler wie Joseph Wright of Derby oder später Fotografen der Frühmoderne fanden im Vulkan ein Motiv, das zugleich bedrohlich und majestätisch war. Der Vesuv wurde zu einem Symbol für die Kraft und Launenhaftigkeit der Natur und für die Faszination, die von ihr ausgeht. In einem einzigen Bild konnte er Schönheit und Gefahr vereinen, Ruhe und Chaos, Zerstörung und erneutes Leben.

Tourismus zwischen Naturgewalt und Naturschönheit
Heute ist der Vesuv eines der bemerkenswertesten Ausflugsziele Italiens. Die Straße, die sich bis auf etwa tausend Meter Höhe windet, führt durch eine Landschaft, die abwechselnd wild und fruchtbar erscheint. Die letzten Meter zum Kraterrand legt man zu Fuß zurück. Und dieser Weg ist mehr als nur ein Anstieg. Es ist ein Spaziergang durch geologische Zeit.
Je weiter man dem Gipfel entgegengeht, desto intensiver erlebt man die Eigenheiten dieses Berges: den Geruch nach Schwefel, der manchmal in der Luft liegt, den staubigen Boden unter den Füßen, die Stille, die nur vom Wind und den gedämpften Stimmen anderer Besucher durchbrochen wird. Der Blick in den Krater, in dem man die erstarrte Lava und gelegentlich dampfende Fumarolen erkennen kann, wirkt gleichzeitig bedrohlich und friedlich.
Von hier oben öffnet sich der Golf von Neapel wie ein Gemälde unter dem weiten Himmel. Man sieht Neapel, das in seinem eigenen Tempo pulsiert, die Inseln Capri und Ischia, und die engen Küstenlinien, die das Licht des Südens auf besondere Weise reflektieren. Der Vesuv vermittelt dabei das Gefühl, einen Ort zu betreten, der weitaus größer ist als das eigene Leben.
Der Vulkan als Teil der neapolitanischen Seele
Für die Bewohner Neapels ist der Vesuv kein Mythos, sondern Teil des Alltags. Viele Familien erzählen Geschichten ihrer Großeltern, die den Ausbruch von 1944 erlebt haben. Andere sehen im Vulkan ein Symbol von Stärke und Beständigkeit. Die Menschen hier leben nicht gegen den Vesuv, sondern mit ihm. Seine Präsenz ist selbstverständlich, so vertraut wie das Meer oder der Geruch von Kaffee am Morgen.

Diese Beziehung zwischen Mensch und Natur ist vielleicht das Faszinierendste an der Region. Der Vesuv ist kein Feind, sondern ein Charakter, der zur Stadt gehört. Ein stiller Protagonist im neapolitanischen Theater.
Ein Vulkan, der nie wirklich schweigt
Auch wenn er heute ruht, spürt man die Geschichte des Vesuvs an jedem Ort der Region: in den Museen, die Überreste aus Pompeji und Herculaneum ausstellen; in den Weinbergen, die auf den fruchtbaren Böden alter Lavaströme gedeihen; in den Gesprächen der Menschen, die nie vergessen, dass sie unter einem schlafenden Riesen leben.
Der Vesuv ist ein Kapitel lebendiger Naturgeschichte, ein kulturelles Symbol, ein Ort der Schönheit und der Mahnung. Wer ihn besucht, begegnet nicht nur einem Vulkan, sondern einem Stück italienischer Seele – roh, widersprüchlich, tief verwurzelt in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Berg, der Italiener und Reisende gleichermaßen fesselt, und der, so sehr er auch respektiert werden muss, immer wieder aufs Neue fasziniert.

Praktische Infos für den Besuch des Vesuv
Lage:
Der Zugang zum Krater beginnt am Parkplatz „Quota 1000“ oberhalb von Ercolano. Von dort führt ein Fußweg in etwa 20 bis 30 Minuten hinauf zum Kraterrand.
Anreise:
Ab Neapel mit der Circumvesuviana bis Ercolano Scavi oder Pompeji, weiter mit Shuttlebus zum Parkplatz. Mit dem Auto über Ercolano der Beschilderung „Vesuvio“ folgen. Parkplätze sind kostenpflichtig.
Tickets:
Der Zugang ist nur mit vorab gebuchtem Online-Ticket möglich. Buchbar über vesuviopark.vivaticket.it.
Öffnungszeiten und Dauer:
Je nach Jahreszeit zwischen dem Vormittag und dem späten Nachmittag. Bei schlechtem Wetter bleibt der Krater gesperrt. Für Anfahrt und Besuch insgesamt zwei bis drei Stunden einplanen.
Schwierigkeit und Ausrüstung:
Der Weg ist kurz, aber steil und schottrig. Feste Schuhe sinnvoll. Im Sommer Sonnenhut und Wasser, im Winter windfeste Kleidung.
Sicherheit:
Der Vesuv wird permanent überwacht. Absperrungen nicht verlassen und Hinweise des Personals beachten.
Offizielle Infos:
Aktuelle Hinweise auf
parconazionaledelvesuvio.it.































