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Italien unter der Erde – Die verborgene Welt der Tunnel

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Blick aus einem Tunnel auf der A1/E35 in Richtung Florenz: Der Apennin-Abschnitt der Autostrada del Sole gilt als einer der technisch anspruchsvollsten Italiens. (Foto: © ChiccoDodiFC /Adobe Stock)
Blick aus einem Tunnel auf der A1/E35 in Richtung Florenz: Der Apennin-Abschnitt der Autostrada del Sole gilt als einer der technisch anspruchsvollsten Italiens. (Foto: © ChiccoDodiFC /Adobe Stock)

Wer Italien verstehen will, muss hinabsteigen. Nicht in Museen oder Katakomben, sondern dorthin, wo sich das Land seit Jahrtausenden durch Stein und Gebirge arbeitet. Tunnel gehören in Italien nicht nur zur Infrastruktur – sie sind Teil der nationalen Identität. Vom römischen Aquädukt bis zum Brenner-Basistunnel spiegelt sich in diesen unterirdischen Bauwerken eine Geschichte technischer Kühnheit, politischer Ambitionen und geologischer Herausforderungen.

Von den Römern bis zur Renaissance des Tunnelbaus

Schon die Römer wussten: Wer ein Reich verbindet, muss graben. Der Grotta di Cocceio bei Neapel, fast ein Kilometer lang und im 1. Jahrhundert v. Chr. vollständig von Hand in den Tuffstein getrieben, verband Cumae mit dem Lago d’Averno – eine logistische Meisterleistung ihrer Zeit. Solche frühen Tunnel waren mehr als technische Werke; sie waren Manifestationen von Macht, Organisation und Präzision.

Zwei Jahrtausende später wird wieder gebohrt. Italien ist zum Labor moderner Ingenieurskunst geworden – ein Land, das sich durch Gebirge, Vulkane und urbane Schichten bohrt, um sich selbst besser zu verbinden.

Der längste Tunnel Europas entsteht

Das wohl ehrgeizigste Projekt dieser neuen Ära liegt tief in den Alpen: der Brenner-Basistunnel (BBT). Mit 64 Kilometern Länge wird er nach seiner Fertigstellung 2032 der längste Eisenbahntunnel Europas sein. Seine Aufgabe ist so einfach wie monumental: den Verkehr zwischen Nord und Süd Europas zu verlagern – von der Straße auf die Schiene.

Die Vision ist grün, der Weg dorthin steinig. Über 10 Milliarden Euro Baukosten, geologische Überraschungen, Umweltauflagen und politische Verzögerungen machen den Tunnel zu einem der komplexesten Bauprojekte des Kontinents. Laut einem Bericht der ANSA ist das Projekt bereits jetzt ein europäischer Rekord – und ein Symbol für den Wandel der Mobilität.

Auch die regionale Presse verfolgt den Bau genau: Der Corriere dell’Alto Adige beschreibt, wie sich der Brenner-Tunnel langfristig auf den Güterverkehr und die alpine Umwelt auswirken könnte.

Tunnel als Antwort auf Italiens Geografie

In kaum einem anderen europäischen Land sind Tunnel so allgegenwärtig wie in Italien. Die Geografie zwingt dazu: Gebirgsketten, enge Täler, Erdbebenzonen. Die A1-Autobahn, Italiens Nord-Süd-Achse, verschwindet auf weiten Strecken unter der Erde, ebenso die Hochgeschwindigkeitsbahnlinien zwischen Bologna und Florenz oder Neapel und Rom.

Und im Norden treibt Italien ein weiteres Großprojekt voran: die TAV-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon, deren Bau inzwischen über 45 Kilometer Tunnel umfasst – doch die Fertigstellung ist laut dem Corriere della Sera noch mindestens acht Jahre entfernt.

Risiken, Skandale und Erfindungsgeist

Doch Italiens Tunnelleidenschaft hat Schattenseiten. Einstürze, Kostenexplosionen, Korruptionsaffären – sie begleiten die Großprojekte ebenso wie Fortschritt und Stolz. Der Einsturz des Monte-Mario-Tunnels bei Rom 2014 oder die Bestechungsskandale rund um den MOSE-Flutschutz von Venedig haben gezeigt, dass selbst im Untergrund die menschlichen Schwächen sichtbar bleiben.

Trotz allem: Die Richtung zeigt nach unten – im besten Sinne. Tunnel sind längst mehr als Verkehrsadern. In Mailand entstehen unterirdische Logistikzentren, Rom plant autonome Metro-Linien, und Winzer in der Toskana nutzen Felskeller mit digital gesteuertem Mikroklima. So wird das Graben in Italien zu einer kulturellen Konstante – einer Bewegung, die Geschichte und Zukunft miteinander verbindet.

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